Ein Allgäuer Gschichtle 1945

Es ist die unruhige Zeit, kurz nach Kriegende.

Ein dreizehnjähriger Bub radelt in Ofterschwang auf seinem, mit viel Mühe aus alten Teilen zusammengebastelten Rad „umeinand“ ohne dass er irgendwo hin will, oder einen besonderen Auftrag hat. Einfach so.

Es ist Thaddäus Müller, der Sohn des Sennen, der die Ofterschwanger Milch seit Jahren zu gutem Emmentaler Käs verarbeitet und bei den Bauern wegen seines gerechten Milchmessens, und weil er gut fabriziert, beliebt und geachtet ist.

Im Gasthof „Engel“, damals noch mit niedriger Stube und altem Hauseingang, wie halt in allgäuer Häusern üblich eingeteilt, sitzen ein paar Bauern und Handwerker, bei dünnem Heuber-Bier, am Stammtisch. Auch „Dorlars Eduard „ ein Zimmermann, der heut zum Feierabend, auf eine Halbe eingekehrt ist, ist dabei.

Zwei junge, amerikanische Soldaten haben sich wohl irgendwie „freigemeldet“ und zechen am Nebentisch, munter drauf los. Die Wirtin hat ihnen einen selbstgebrannten „Enzionar“ hingestellt.

Thade beobachtet, durch den lauten, fröhlichen Diskurs der Amis aufmerksam geworden, wie die zwei Burschen angeduselt aus der Wirtschaft kommen, eines, der vor dem Haus angelehnten Fahrräder nehmen und die Staig hinunter fahren, in Richtung Westerhofen.

Beide zusammen auf einem Rad!

Wenig später kommt „Dorlars Eduard“ aus der Wirtschaft.

Er möchte heim, nach Kierwang, zu seiner Familie, schließlich ist ja Feierabend.

Ratlos schaut er sich um, wo ist sein Fahrzeug geblieben !?

Thade, der den Abgang des Vehikels ja beobachtet hat, kommt herzu und erzählt brühwarm was er gesehen hat.

Er beschließt den beiden Amis nachzuradeln um herauszufinden, wo die zwei hinfahren und wo das Rad, womöglich landet.

Schneid ha er damals bewiesen der Thade, immerhin ein erst dreizehnjähriger Bub, spioniert er der allmächtigen Besatzungsmacht nach. Bald findet er das Fahrrad, ohne Luft in den Reifen, mit verbogenen Felgen, im Straßengraben.

Aber, er gibt nicht auf: Er spürt den beiden GL´s weiter nach und wird fündig.

Die zwei Uniformierten laufen über die „Bietsche Holde“ in Richtung Sonthofen.

Thade fährt zurück und informiert den inzwischen wieder an den Stammtisch zurückgekehrten Eduard über den Verbleib des Fahrrades.

Der Wirt rät, die Militär-Polizei anzurufen, was dann auch geschieht.

Es dauert nicht lange, ein Jeep der MP taucht auf und nach einer Runde durch das Dorf, kommen zwei wuchtige amerikanische Militärpolizisten in die Wirts- Stube vom „Engel“ und fragen nach Zeugen.

Zaghaft erzählt Thade, was er beobachtet hat.

Er wird, obwohl er Schiss hat, in den Jeep genommen und muss dem einen, deutsch-sprechenden Militärpolizisten zeigen, wo die zwei Amis hingelaufen sind.

Als der Jeep aus dem Ofterschwanger Holz heraus und in Richtung Bettenried fährt, sieht man zwei Gestalten auf Sonthofen zu rennen.

Kurz entschlossen fahren die Fahnder mit dem Jeep durch eine Lucke im Hag den Bichel hinunter und stellen die Flüchtigen im freien Feld.

Die merken, dass es Ernst wird und geben auf.

Thade, der das Abenteuer bisher für ganz lustig gefunden hat, hockt jetzt, doch ein wenig verängstigt auf dem Rücksitz des Jeeps.

Die M.P. fährt nach Sonthofen in die Kaserne.

Die beiden G.L.s, ganz sicher harmlose, nette Burschen, die einmal über die Stränge geschlagen haben, werden brutal mit den Stöcken zum Verhör getrieben.

(„Wie a Vieh“!, erinnert sich Thaddäus ).

Er soll aussagen und seinen Namen und seine Adresse angeben.

Der Flur in der Kaserne war sauber geputzt Und gewischt.

Wie halt ein allgäuer Bub erzogen ist, hat er sich nicht mit seinen Holzschuhen in die Räume der Besatzungsmacht getraut.

„I ho halt d` Holtsche, wie `nes sich gheart, vor dr Dier ra dong.“

Bis nach dem Verhör, ist es dunkel Nacht geworden.

Der Bub hockt immer noch in dem Vernehmungsraum.

Er möchte heim, aber, er traut sich „ niéna furt“.

Schließlich bedeutet ihm ein Adjudant:

„You may go home .“

Er zeigt zur Tür.

Nachdem er das englisch –amerikanisch begriffen hat, hatscht Thade „i de Sock“ durch den schlecht beleuchteten Gang aus der Kaserne.

Aber, als er vor der Tür in seine Holzschuhe schlupfen will, sind sie fort.

Er steht in dunkler Nacht in dem zerbombten Sonthofen, in einer „feindlichen“ Kaserne, in Strumpfsocken und möchte gern heim, nach Ofterschwang, zu seinen Eltern, die sich, es ist inzwischen 10 Uhr Nacht, bestimmt schon lange Sorgen machen.

Verzweifelt und ermüdet schleicht Thade um das Gebäude der Kaserne herum und heute erinnert er sich:

„Bigott,i de Sock ischt doch no nie niemed vu Sünthof go Oftrschwang gloffe…abr was hätt i selle düe?

Momentan hon i mir kuin Rot it gwisst!“

Bis er einen Schutt- Kübel erspäht.

„Und, wie s dr Teifl will, lüeg i i die` Tonne ning!“

Es war ein Wunder!, Die Holzschuhe steckten in dem Kübel !

Überglücklich, doch einigermaßen ungeschoren davon gekommen zu sein, legt er sie an und läuft durch Sonthofen in Richtung Sigishofen.

„ Nuiz wie` huim !“

Aber die Aufregung ist an diesem Tag noch nicht zu Ende.

In Sonthofen herrschte strickte Ausgangsperre ab 20 Uhr.

Der Bub war noch nicht lange unterwegs, als ein amerikanischer Jeep neben ihm anhält, zwei Militärpolizisten herausspringen und schreien : STOP!

Dem Thade bleibt das Herz stehen!

Er kriegt es jetzt wirklich mit der Angst, er fürchtet, dass geschossen wird, oder dass er die weissen Schlagstöcke zu spüren kriegt, als ihn

„Gott sei Lob`und Donck !“

der Offizier erkennt!

Es ist derselbe der ihn vernommen hat !

Der grinst versöhnlich, nennt ihn „good boy“ und im Jeep der „Weltmacht Amerika“ wird Thade heimgefahren, nach Ofterschwang.

Seine Eltern haben den ganzen Nachmittag um ihn gebangt. Auch hier fürchtet der Thade zunächst geschimpft zu werden, aber als er seine Geschichte erzählt hat, ist alles gut.

Eduard Rapp hat sein „verrittenes“ Fahrrad irgendwie mehr oder weniger heimgetragen, aber er stellte es nie mehr vor die Tür einer Wirtschaft, nie mehr.

Und der Thade ?

Der radelt heute noch gern durch seine Dörfer, im Oberallgäu, und

„tüet hie und da gschtäht , züe nam Schwätz !“

Allerdings jetzt mit einem hochmodernen 10 Gang Rad.