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Die Ulme im Lochbach

Erschienen im „ Schönen Allgäu“
Afa-Verlag Kempten. Nr. B6140E Nov.2002

ulme

Einmal, glaube ich, habe ich etwas Gutes getan.
Wir waren beim Schwenden im Lochbach.

Der „Lochba“ das ist die erste Alpe im Gutswiesertal, jenes Hochtal unter dem Besler, in dem noch viele schöne Alpen zu finden sind.

Am „Haideck“ hatten sich um die, von vielen Generationen von Bergbauern zusammengetragenen Steinhaufen, Erlenbestände angesiedelt.

Während des 2. Weltkrieges war man ja kaum zum Schwenden gekommen. Die Männer waren an der Front, einige schon gefallen, und die Frauen und Alten, hatten alle Hände voll zu tun, um nur die nötigsten Arbeiten fertig zu bringen.

Man muß immerhin überlegen, dass der erste Motormäher 1948 ins Dorf kam, das heißt während des Krieges wurde alles, mit der Hand gemäht, bis auf einige wenige ebene Flächen, die mit dem Roß und der Mähmaschine befahrbar waren.

Aber wer hatte damals schon ein Roß!

Auch die hatte man eingezogen. Auch zum Heinzen, zum Umkehren und zum Maden des Heus brauchte man viele Stunden, von Hand.

Schibbelars Hannes, bei dem ich als Heuber, Staller und Knecht mit 15 Jahren, 1950 anfing, kaufte sich erst damals einen Mäher. Sehr zum Unwillen seiner Mutter, die, allerdings schon 75 jährig, davon sprach, das neumodische Zeug wieder zu abzuschaffen.

So war halt während des Krieges schon Einiges liegen geblieben.

Die Erlen standen in großen ausgewachsenen Büschen und schätteten die Weideflächen.

Die Alpen wurden damals 1953 noch voll beschlagen. Im Lochbach gab es 63 Weiden, und das sind 63 Kühe einen ganzen Sommer lang, die brauchten schon einiges an Futter!

Um wieder mehr Weide zu gewinnen, hatte Jordans Hans, der Alpmeister im Lochbach, den Erlen, den Kampf angesagt.

Ich hatte im Winter vorher im Spitalhof Kempten die Melkergehilfenprüfung abgelegt, als Melker bei Memmingen auf Gut Westerhardt gearbeitet und mich für den Sommer in den Lochbach, als Hirt und Melker verdingt.
Der Hans fragte mich im Frühling, ob ich nicht mit zum Tagwerken kommen könne, das kam mir gerade recht.

Wir hatten Waldsäge, Äxte, Schwendscheren dabei und es ging den Erlen ordentlich zu Leibe.

Die Arbeiten zogen sich über den ganzen Mai hin, zwischendurch wurden die Zäune wieder in Ordnung gebracht, oft war ich allein mit einem Fuchsschwanz dabei die Erlenstämme auf Meter abzulängen, und als Brennholz aufzusetzen.

In der Mitte eines dichten Gebüsches entdeckte ich eines Tages einen schwarzgerindeten Stamm, ein Stämmlein, grad so dick wie mein Arm.

Ich folgte mit den Augen dem Stammverlauf, nach oben, zum Geäst und sah längliche Blätter, Ulmenblätter.

Es war eine Ulme, eine ganz junge Ulme.
Weit und breit wusste ich keine Ulme im ganzen Tal.

Wo kam die her?

Die Erlen mussen weg, das verstand ich, das war richtig, aber die Ulme?

Das ist doch ein seltener Baum, wertvolles Holz, Rüster nennt es der Schreiner, der Fachmann.
Ein schöner Baum. Ich habe die Ulme nicht abgesägt. Ich ließ sie stehen.

Wir räumten die Erlen auf, schafften sie den Hang hinunter an den Weg, verbrannten das Reisig auf den Steinhaufen, rauchten unsere Pfeifen. Bis mich der ordans Hans fragte:

Warum hast du den“ Pfotschen“ stehen lassen?

Weil´s eine Ulme ist, die gibt es selten, und wenn du erlaubst, lasse ich sie für immer stehen.

Der Jordan Hans lächelte, und wenn über dieses rauhe Gesicht ein Lächeln zog, war es wie wenn die Sonne aufgeht. Und wie es seine Art war, legte er irgendwo, wo ich es sehen konnte, eine Schachtel Salem-Zigaretten hin, für mich.

Das war meine gute Tat, die Ulme.
Die steht immer noch.
Sie ist jetzt, nach fast fünfzig Jahren ein großer, schöner Baum mit einer weit ausladenden Krone.
Erst am letzten Sonntag war ich wieder an der Halde zum Haidegg.
Ich glaub, ich bilde mir sogar etwas ein auf ihn, ich bin stolz auf ihn, meinen Baum, meine Ulme.

Von alten Bäumen

tanne-gschwenderbergDie Dure im Gschwenderberg. Es geht um eine Tanne.

Eine uralte Saumtanne. Ein Goliath. Sie ist bestimmt schon so alt wie die Hütte im Gschwenderberg.
Oder noch älter.
Sie steht. Seit etwa 300 Jahren steht sie, die Tanne oben am Gschwenderberg. Ein Riese. Eine Riesin.

Bei Tannen, glaube ich, die haben eine weibliche Seele. Sie trotzte vielen Wintern, mit Schneelast, mit Stürmen. Mehrfach hat sie ihren Wipfel opfern müssen.

Was tat sie?

Sie ließ die Äste der obersten Krone alle zu Wipfeln wachsen, sie teilte sich in fünf gewaltige Arme.

Das muss schon in jungen Jahren geschehen sein, denn auf dem mächtigen Stamm, so in vier Meter Höhe, stehen wiederum fünf kräftige Tannen, jede für sich, jede wieder ein Goliath.

Aber auch deren Wipfel blieben nicht ungeschoren, wieder wuchsen Äste zu neuen Wipfeln empor, wieder teilte sich das aufstrebende Holz.

So steht sie vor mir, ein Gebirge aus Stämmen und Stangen, ein Gewirr aus Holz, eine Königin des Waldes, mit ihrem gewaltigen Hauptstamm der seine Wurzeln weit und wuchtig in den Boden gebohrt hat.

Einer der Äste hat die höchste Spitze gebildet und ist vor Jahren schon abgestorben. Silbrig grau und traurig, ragt er in den Himmel.
Gustl, der Senn und Hirt, wollte diesem Urwesen schon lange einmal, den Garaus machen.

„Sie ist mir langsam zu gefährlich,“ sagte er, „die Äste sind zum Teil schon abgestorben, ein Windstoß kann genügen, ganze Teile des Baumes herauszubrechen, und wenn das Vieh, oder ein Wanderer in der Nähe ist, könnt `etwas passieren!

Irgendwann muss ich sie umtun,“ sagte er.

Die Tanne hat inzwischen den Gustl überlebt, er ist seiner Krankheit nicht mehr Herr geworden, er ist in den Boden gesunken, ohne große Klagen, mit einem letzten Aufbäumen, sackte er in sich zusammen, wie ein ausgehöhlter Baum.

Schad` um ihn.

Die Tanne steht noch. Ich stehe vor ihr.

Ich möchte im Nachhinein, dem Gustl die Arbeit abnehmen die Tanne fällen, rechtzeitig, dass niemand zu Schaden kommt.

Ein paar große Äste treiben noch grün, noch besteht also ein Recht auf Weiterleben, auf Stehen bleiben?

Ein Recht?
Ja, die Natur hat ein Recht.

Aber sie hat ja damals auch keinen Menschen gefragt, als sie als Samenkorn von irgend einer noch höher stehenden Tanne heruntertrudelte und sich in dem endlich, in Jahrhunderten gerodeten, faisten, festen Waidboden niederließ.

Günstige Umstände, die richtigen Temperaturen, die richtige Feuchtigkeit brachten den Samen dann zum Ausschlagen, und verborgen hinter einem Stein, wuchs sie heran.

Bis wieder einmal der Berg geschwendet, (vom Anflug der Tannen und Büschen gesäubert) wurde, vergingen Jahre, vielleicht war der Bauer in einem der vielen Kriege, der letzten 300 Jahre, so dass die Alpfläche nur notdürftig genutzt, aber keine Schwendarbeiten durchgeführt wurden.

Und dann, als ein junger Alpbesitzer vielleicht wieder zu Axt und Schwendschere griff, war sie schon zu groß geworden, bot dem ruhenden Vieh Schutz vor Sonne und Regen und sie blieb stehen.

Anders, als die Bäume im geschlossenen Wald, wo die Bäume dicht an dicht stehen, die Äste im Halbdämmer absterben, und nur die Wipfel dem Licht entgegen streben dürfen, hat diese Tanne sich entfalten können, hat aber ihren Mut, das Leben allein zu meistern, bitter bezahlen müssen.

Sie wurde gebogen, geknickt, verformt, sie stand allein in den Stürmen, von keiner Schwester beschützt.
Wie ein Mensch, der die Schneid hat, anders zu sein, als der müde Durchschnitt.

Genau wie diese Tanne muss ein Mensch, Blut opfern, Äste opfern, mehr Mut zeigen, wenn er, ein bisschen anders ist, aber ein wenig freier steht!

Freier ist!

Frei sein, heißt, allein sein, und das ist ein hoher Preis.
Aber ich wollte ja von der „Dure“ im Gschwenderberg erzählen, nicht von den Menschen.

Irgendwann fällt sie doch, und wenn der Mensch auf seinem Lebensraum Ordnung halten will,(hier Alpe) muss aufgeräumt werden.

Außerdem liefert sie klafterweise, den wichtigen, natürlichen Brennstoff: Holz.
Und wenn sie, die Alte geht, bleiben junge Bäume geschont!

Die Motorsäge brüllt über die stille Alp.

Ich komme mir nicht besonders gut vor. Ich bin ein Eindringling in einer friedlichen Welt.
Aber die Säge ist kommod. Der Klang ist katastrophal, aber wer schaffen muss, allein ist und etwas zustande bringen will, kommt heute ohne Maschinen nicht mehr aus. Träumer, die gegen die Maschinen sind, haben noch nie von Hand gesägt, gemäht, geheut, gemolken, geschaufelt, gepickelt, gelupft.
Man sollte stille Maschinen erfinden! Das wäre die Antwort.

Ich steige mit meiner Motorsäge auf etwa vier Meter Höhe, suche mir einen festen Stand in den vielen Auswüchsen am Stamm und säge die einzelnen Äste, eigene Bäume müsste man sagen, ab.

Die meisten brechen schon, kaum halb abgesägt, hinunter.
Es ist eine spannende, aufregende Arbeit.

Eine gefährliche Arbeit.
Ein Ausrutschen, mit der laufenden Kettensäge, könnte das Ende des Abenteuers bedeuten.
Am Abend liegt ein ganzer Wald am Boden.

Einige der abgetrennten Auswüchse haben noch saftig grüne Spitzen, in der alten Riesin steckt also noch viel Leben drin.

Als ich sie anschaue, wie sie dasteht mit amputierten Armen aber immer noch gerade und unbeugsam, ist mir nicht ganz gut in meiner Haut.

Ich habe an einem Wesen, einem Lebewesen herumgesägt, es verletzt. Ich schiebe die unangenehmen Gedanken zur Seite und fahre heim.

Am nächsten Morgen räume ich zuerst die Äste auf.Die sind mannsdick und geben eine Menge Brennholz.

Die Stämme und Stangen auf Meter abgesägt. Das Reisig von den dünneren Ästen mit dem „Daasschneider“ abgestreift ,

Ich schichte das „Daas“ (Reisig) zu großen Haufen auf.
Zum Verbrennen.

Man könnte es ja verkaufen, seit einigen Jahren gibt es im Oberallgäu einen Apotheker, der das Latschenkiefernöl herstellt. Für seine vielen Produkte kann er auch das harzige Tannenreis brauchen.

Aber, der Transport wäre zu weit. Also verbrennen, ein „Schwendfeuer“ anzünden.

Die gebogenen nach oben gewachsenen Auswüchse sind hartes Holz, „Buchs„ nennt der Schreiner solche Holzteile, sie sind schwer zu bearbeiten, auch spalten lassen sie sich schlecht, aber ich werde sie irgendwann schon klein kriegen.

Hoffe ich.

Ich schaue immer wieder zu dem Stamm hinauf.Ich glaube, die Tanne beobachtet mich.
Sie ist stark, sie ist stärker als ich, aber ich bin schlauer.

Wirklich ?

Sie wird zum Gegner.
Oder bin ich unsicher, hab ich vielleicht Angst vor dieser Riesin?
Eine Holzbeige, ca. sieben Ster liegt schon aufgeschichtet.

Ein großer Haufen „Daas“ (Reisig) daneben.

Ich traue mich noch nicht an den Hauptstamm, und mache mich an den Ästen zu schaffen.
Ich habe sie abgemessen, am Stock hat sie Eins- dreißig im Durchmesser.

Mit dem Sechziger Blatt meiner Motorsäge? Schwer zu schaffen.

Ich weiche dem Baum aus.
Ich scheue mich, anzufangen.

Zuerst einmal mache ich Brotzeit.
Es ist schon wieder Nachmittag geworden.

Jetzt noch den „Schrot“ (die Fällkerbe) anfangen und dann nicht zu Ende bringen, das ist ungut.

In Wirklichkeit habe ich Schiss.
Schiss vor der Tanne. Ich habe das Gefühl als wollte sich die alte Holzriesin noch nicht geschlagen geben.

Kann ein Baum, ein dummer, hölzerner Baum zum Gegner werden?

„He Du Tanne! Du musst so wie ich will,“ sage ich laut,

Da fällt ein dicker alter Ast aus der Krone, vor mir auf den Waidboden.

Ich mache einen großen Sprung zur Seite.

He Du! Tanne !

Mir langt es..
Für heute hör ich auf.
„Tanne, morgen komm ich wieder !“

Ich sehe in dem Baum eine Person, einen Gegner. Einen harten Gegner. Ich schaue noch mal um.

Ein trotziger gewalttätiger Riese, so steht sie, die alte, mächtige Hoftanne in der Landschaft, mit abgesägten Armen sieht sie verletzt aus, aber sie hat noch lange nicht aufgegeben.

Mein früherer Nachbar, mein Jugendkamerad Josef, hat sein Leben lang im Holz geschafft, hat Holzmarken gekauft, abgeholzt, und wieder angepflanzt, mit dem übrigen Geld wieder Grund gekauft und somit den Waldbestand seines Hofes vergrößert. Ein Holzwurm und Waldfreund.

In früheren Jahren, so meistens nach dem Alpsommer, haben wir zusammen kleinere Holzakkorde angenommen, oder als Mitglieder größerer Holzaktionen, mit anderen Gruppen gearbeitet.

Er, der Josef hat Erfahrung.
„Wie bringe ich diesen fast einsvierzig starken Stamm mit einem sechziger Blatt ab?“

Er sagt: „Vorne in das Fleisch hinein stechen, soweit es geht, aber links und rechts Fleisch stehen lassen, den Schrot, die Fällkerbe, natürlich viel größer machen als sonst! Viel Glück!“

„Also , so werd` ich ´s machen.“

Durch zwei starke Auswüchse, Stümpfe von dicken Ästen, denke ich , zieht die Tanne wenn sie fällt, schon durch das Gewicht der beiden „Kinder“ in die richtige Seite, zwischen meine aufgeschichteten Äste und das zu verbrennende „Daas“.

Außerdem „hängt“ der Baum schon in die Richtung, er steht schon etwas schräg.

Nachts schlafe ich schlecht, die riesige „Dure“ (Dürre Tanne im allgäuer Dialekt), verfolgt mich bis in meine Träume.

So glaube ich, dass sie sich wehren wird, solange sie kann.

„Komm du kleines Männle“ hat sie zu mir gesagt,
“Komm du nur!“

Wie immer, wenn ich mit einem Thema nicht klar komme, ist die beste Lösung, nicht wegschieben, nicht verdrängen, sondern dem Problem entgegen gehen, bis es gelöst ist.

Früh am Morgen stehe ich auf und mache mich fertig, um meinen „Gegner“ zu bekämpfen, der durchaus Chancen hat, mir das Fürchten zu lehren.

Wie, wenn der Stamm innen zu faul ist, wenn nur noch ein Kranz von gesundem Holz den Stamm hält, und wenn ich in ihn hineinsäge, kann er irgendwo brechen, unberechenbar werden, er kann dann „Stüehle“ wie man im Allgäu sagt, irgendwo auf halber Höhe bricht er dann ab, eh er ganz abgesägt ist, dann bleibt am Stock die Hälfte des Holzes stehen.

Wo er dann hinfällt, ob links oder rechts, weiß dann nur Gott oder der „Teufel“.

Der Stamm kann beim Fallen auch rückwärts stoßen.
Für den Holzer eine tödliche Gefahr.

Das passiert manchmal bei Buchen, besonders im Winter, wenn das Holz gefroren ist.

Ich räume einen Weg frei, auf dem ich fliehen kann, wenn der Baum zu früh geht.

Zunächst also die Fällkerbe, den „Schrot“ tief hinein gesägt, und, wie mir der Josef geraten hat, in der Mitte steche ich tief hinein, soweit wie das Blatt der Motorsäge reicht. Rechts und links bleibt noch ein kräftiges „Fleisch“ stehen.

Danach setze ich die Säge von der Rückseite an und ziehe sie in beide Seiten, von hinten in Richtung „Fällkerbe“.

Es ist heiß geworden, wir haben Juli, in Strömen rinnt mir der Schweiß vom Körper.
Ich säge und säge.

Ganz schön aufgeregt bin ich auch.

Immerhin rund fünf und zwanzig Meter altes, morsches, widerwilliges Holz, stehen über mir, und warten darauf, dass ich einen Fehler mache.

Der Schutzhelm wird mir zu heiß, das Hemd fliegt in die Büsche.
Nach einer Stunde steht die alte Tanne immer noch.
Von allen Seiten ist sie eingekerbt, eingesägt, abgesägt.

Sie rührt sich nicht.

„Diese Runde geht an Dich Tanne !“

Die Aluminiumkeile sind mit Buchenkeilen unterlegt, zum Teil ist das Holz morsch, rot, wie der Holzer sagt, die „Schaida“ (Keile) öffnen den Schnitt nicht, sondern drücken sich beim „Treiben“ (Schlagen) nur in das weiche Holz.

Ich versuche von allen Seiten mit dem Sechzigerblatt hinein zu stoßen, aber das Schwert ist einfach zu kurz.

Doch jetzt, wo noch einmal zur Mitte vorstosse, kommt gesundes, weißes Sägemehl.

„Du bischt also doch gsündr, wie ich geglaubt habe, du alter Knochen!“

In der Mitte des Stammes liegt mein Problem, unerreichbar für die Motorsäge, da steht noch ein dicker Holzteil.

Daran hält sich der alte Riese noch fest.
Die Natur ist so wie sie ist. Sie will nur ihre Ruhe haben,s ie will nichts von uns.
Der Mensch will etwas von ihr.

Der Mensch war durch seine Schwäche immer schon gezwungen, nachzudenken, er kann ihr durch Schläue, etwas abtrotzen.

Die alten Holzer benutzten eine Waldsäge.
Bis zu zwei Meter lang, waren die.

Zwei Männer waren zum Sägen notwendig.

Bei fortschrittlichen Sägen konnte man den einen Griff wegmachen, um die Säge nötigenfalls, aus dem Schnitt ziehen zu können.

Also eine alte Waldsäge muss her, eine, bei der man den Griff wegtun kann.

In der Hütte vom Gschwenderberg, hängen ein paar, dieser schon lange nicht mehr benutzten, Sägen.

Also zur Hütte.

Eine ist dabei, die könnte gehen. Bloß stumpf ist sie, total stumpf. Nie mehr gebraucht. Viele Jahre.
Die Säge schärfen, feilen.

Das hatte mir der Minraders Max einmal beigebracht.
„Ein gut gerichteter Handwerkszeug ist die halbe Arbeit.“ hatte der gesagt. Und der wusste was er sagte.

Er half mir und dem Josef manchmal beim Holzen, bei unseren kleinen Holzakkorden. Stundenlang verbrachte er damit, die Säge zu feilen.

Mir erschien das damals viel zu lang.

Wir schwer man sich aber mit einer schlecht gerichteten Säge tut, das merkte ich später bald.

Ich spanne die Säge in die „Kluppe“ und feile in aller Ruhe die alten, kurzen Zähne einmal von links, einmal von rechts.

Zwei Stunden habe ich gebraucht, bis ich wieder bei meiner „Gegnerin“ bin.
Inzwischen ist ein starker Wind aufgekommen, das macht ihr nichts aus, sie steht.

Ich schiebe die Waldsäge mit der Seite ohne Griff in den Schnitt hinein und ziehe sie langsam hin und her. Ich quäle mich endlos ab, der Stamm in der Mitte ist noch endlos dick.

Die Sonne verschwindet im Westen, sie blickt jetzt wohl auf den Bodensee.
Noch immer ziehe ich hin und her.
Aber. Ich will diese Sache zu Ende bringen, diesen alten bösen Baum umhauen, ich will, dass er nachgibt!

Auch wenn es nur Millimeter weise voran geht.

Hoffentlich kommt jetzt nicht irgend ein Wanderer vorbei, der gescheit daher schwätzt und mir helfen will, das will ich nicht, denn dieses ist mein Kampf, mein Sieg, meine „Dure!“

Mein Rücken tut weh, meine Hände sind zerrissen, aber ich nehme nicht die Zeit, eine Pause zu machen.

Da, die Tanne knackt, sie setzt sich, die Säge ist fest. Nicht alle Kräfte der Welt wären jetzt in der Lage, die Waldsäge herauszuziehen.

Aber, immerhin, es hat sich etwas getan, so ganz sicher ist der Baum nicht mehr auf den Füssen.
Also, die Keile hineintreiben, in der Hoffnung, dass es den Riesen hinten etwas anhebt, und er endlich das tut, was ich schon seit drei Tagen von ihm will, endlich hinfallen.

Ich schlage wie wild auf die Keile, setze noch zwei weitere ein. Schlage und treibe, schlag und treibe. Da, ein Ächzen, ein Knirschen, ein langer Laut, wie ein Stöhnen kommt es mir vor, die Tanne wankt, sie zittert, ein paar abgestorbene Äste stürzen herunter, ganz langsam neigt sie sich, und fällt. Genau wie der kleine Mensch es geplant hat, in den Raum zwischen Ästen und Scheitern, schlägt hart auf, schmeißt mit ungeheurer Wucht ihr Hinterteil noch einmal in die Höhe und bleibt liegen.

Tannenbart und Rindenstücke fliegen durch die Luft.

Eine wahre Geschichte – Tannheim 1937

Draußen regnete es in Strömen.
Voll gespannter Aufmerksamkeit, saßen die Kinder um die
„Frau vom Haus“ herum.

Zum Teil auf der hölzernen Eckbank, halb auf dem Tisch, zum Teil auf dem Boden kniehend, hockend. Die Augen der Kinder hingen an ihrem Mund.

Vier eigene Buben, von Paulwebers fünf oder sechs, und ein kleiner, blonder Kerl von drei Jahren, der Willi.

Die Frau rief: „ Also noch einmal alle zusammen!“

Ein mal Händeklatschen, Ihr müsst es genau so machen wie ich, dann mit der rechten Hand an das linke Ohr fassen, mit der linken Hand, die Nase festhalten.

Dann wieder klatschen,
Seppl, doch nur einmal,
dann mit der linken Hand an das rechte Ohr fassen und mit der rechten die Nase, diesmal mit der rechten Hand, die Nase!

Noch einmal, ganz langsam, etwas schneller, und links und klatsch und..rechts und klatsch und… schneller, schneller, schneller……

Die Kinder versuchten zuerst, die Reihenfolge einzuhalten, langten sich dann aber mit beiden Händen an die Nasen, sich gegenseitig an die Ohren, es wurde ein heftiges Gefuchtel und ein herzhaftes Gekicher und Gelächter daraus.

Der Willi kugelte sich auf dem Boden, griff sich an die Füße und kommandierte .. und links und latsch und lechts…..und…..

„Noch einmal von vorn, die Frau musste schon zu Beginn des neuen Spieles lachen, denn die Buben machten absichtlich falsche Griffe.

Eine fröhliche Runde von Kindern, die sich glücklich fühlten, denn die „Frau vom Haus „ wie sie genannt wurde, konnte Märchen erzählen, vorlesen und auf die Kinder eingehen. Vor allem, sie hatte Zeit. Sie nahm sich Zeit.

Manche Leute haben immer Zeit, manche nie.

Die Nachbarn schickten die Kinder gern zu ihr, dort wussten sie ihren Nachwuchs gut aufgehoben, wenn man draußen im Feld zu arbeiten hatte.

Sie war mit vier Buben in das Dorf gekommen.

Von der Familie Leitner in Untergschwend bei Tannheim, hatte sie das Haus gemietet.

Beim Paulweber über dem Bach drüben, hatte man zu 7 eigenen Kindern auch noch den Willi aufgenommen.

Er stammte aus Südtirol und seine Eltern waren bei einem Zugunglück ums Leben gekommen.

„Jetzt alle wieder hinaus, der Regen hat aufgehört!“

Wir sprangen ins Freie, der Willi und ich, ließen die Großen fortrennen, denn wir hatten etwas besonderes vor.

Wenn immer es ging, schlichen wir uns davon, zu einem heimlichen Spiel, zum“ Bollen drehen“, wie wir es nannten.

Unter dem Stadel am Bach, der Untergschwend durchfließt, gab es Lehm.

Wir, die kleinsten konnten unter den Stadel kriechen und fanden dort Platz, aus dem Lehm Kugeln zu drehen und allerhand Fabelwesen zu modellieren.

So hatte meine Mutter, „die Frau vom Haus“ mir erzählt, als Jesus klein war, habe er aus Lehm Vögel geformt.

Dann hatte er gewartet, bis sich das Blau des Himmels in den Pfützen spiegelte, hatte das Blau mit den Fingern aus der Pfütze genommen und auf die Lehmvögel gestrichen, so dass schöne, runde, blaue Vögel um das Jesuskind herum, auf dem Boden saßen.

Andere Kinder versuchten auch, ihre Lehmtiere mit Himmelsblau zu färben, aber es gelang ihnen nicht.

Sie waren ja schließlich auch nicht das Jesuskind.
Aus Neid und Zorn, versuchten die Buben, die kleinen blauen Vögel zu zertreten.

Aber eh sie damit anfangen konnten, machte Jesus „husch“ und die kleinen, kugeligen, blauen Lehmvögel flogen davon.
Diese Geschichte beeindruckte mich sehr und ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass ich auch, die Regenbogenfarben, die manchmal in moorigen Pfützen sich spiegelten, auf meine Lehmtiere streichen könnte.

Aber manche Geschichten bleiben halt immer ein Traum.

Ein Kater, Minkus mit Namen, gehörte zur Familie, er war irgendwann einmal zugelaufen. Er kümmerte sich um die Mäuse in dem alten Haus, und war ganz einfach bei der großen Kindergruppe geblieben, die ihn liebte und verhätschelte.

Alle waren, alle Tage beieinander und mit unendlich vielen, wichtigen Dingen beschäftigt. Immer liebevoll bewacht und betreut, von unserer an Phantasie und Ideen reichen Mutter.

Die Mädchen durften aus alten Stoffresten etwas zusammennähen, oder sie brachte ihnen die Anfänge der Kreuzstickerei bei.

Die Buben mussten Holzkugeln in ein Loch im Boden rollen, das irgendein Vorgänger in die alten, dicken Dielen hineingebohrt hatte, so eine Art Boccia, oder durften sich aus gebrauchten Schreibmaschinenrollen und Pappschachteln, Heuwagen basteln.

Auch eine Kuh gehörte zu uns.

Sie kam von dem Bauern Leitner, dem das Haus gehörte. Sie hatte sich einmal in der Tür geirrt und war in unseren Hausflur geraten.
Die Mutter versuchte sie mit der Feuerschaufel, der Ofen in der Stube wurde, wie in vielen alten Häusern vom Gang aus geheizt, wieder hinauszutreiben.

Rückwärts gelang das aber nicht, also versuchte die Kuh sich, in dem engen Gang, umzudrehen.

Vor lauter Aufregung ließ sie einen großen Kuhfladen an die gekalkte Wand fallen, der dann langsam hinunter sackte.

Das war die Lisa, die solcherart sich in unserem Hausflur verewigt hatte.
Man hat den Fleck abgewaschen und frisch geweißelt, aber immer wieder schimmerte es grün-braun aus der Wand.

Wir Kinder hatten unsere Freude daran. Oberhalb des Dorfes begannen die Wiesen, die im Frühsommer voller Heinzen standen. Bald darüber begannen die Alpwiesen, durchsetzt von Waldstücken, die weiter oben in Latschenfelder übergingen.

Die Winter waren hart und schneereich. 4-6 Pferde zogen einen großen Schneepflug durch das ganze Tal. Der weiße Atem aus den Nüstern der Rösser, wehte um die verschwitzten Leiber.

Männer standen auf dem hölzernen, aus Balken gezimmerten Räumgerät, um dem Pflug das nötige Gewicht zu geben, damit er nicht oben, über den Schnee hinweg glitt.

Die frisch geräumte Strasse war glatt, fast wie Eis. Den Zuweg nach Untergschwend mussten die Bauern selber freischaufeln.

Meter hoch türmte sich der Schnee links und rechts der Strasse. Nicht umsonst nennt man die Passhöhe vom Oberjoch noch heute die „Gähwinde“!

Dort mussten viele Schneeschaufeln ausrücken, um die angewehten Massen weg zu schaffen. Der Leitners Rudi war damals schon ein großer Bub, der uns das „Geisselschnellen“ beibrachte.

Das Heuen damals, verrichteten, aus meiner Sicht, viele, viele Frauen in langen Röcken, die über die Strohhüte Kopftücher gebunden hatten. Das sah für mich vierjährigen Stumpen recht komisch aus und ich weiß bis heute nicht warum die Frauen das machten.

Seit der Zeit weiß ich aber eins genau; dass richtige tiroler Bauern ein Hemd ohne Kragen, graue lange Hosen, Hosenträger aus Gummi, Holzschuhe mit Lederkappen tragen und einen Strohhut auf dem Kopf haben und kleinen Buben mit der Hand auf dem Kopf kraulen.

Der Gipfel des „Einstein“ ragte hinter dem Dorf empor, und noch lange, wenn es später hieß, wir malen Berge, dann malte ich zwei steile Türme, oben rund und dazwischen einen kleinen Zacken.

Es waren das die „Rote Flüh“ und der „Gimpel“ zwischen denen die Köllespitze heraus lugte. Unseren Vater hatten wir den ganzen Winter nicht gesehen. Aber im Mai, als die Wiesen voller Blumen standen, war er am Abend plötzlich aufgetaucht.

Im Schlafzimmer der Eltern hatte es lautes Reden und verhaltenes Weinen gegeben. Am Morgen kamen vier Männer mit grauen Mänteln und grauen Hüten.

Ein großes Auto stand vor dem Zaungatter.Zwei Ersatzräder waren rechts und links über den Kotflügeln angebracht. Es war ein langes, offenes Auto, wie man sie heute noch in Filmen, die im Dritten Reich spielen, sehen kann.

Es wird ein „Horch“ gewesen sein. Die Männer nahmen den Vater mit. Er hatte ein weißes Gesicht. Er steht in dem Auto und lüftet den schwarzen Hut.

Ein flacher, schwarzer Hut war es. Die Mutter hält sich am Zaun fest.
Vier Kinder schreien an ihr hinauf, hängen an ihrer, ich weiß es noch genau, gestreiften Schürze, an ihren Röcken.

Eine grau-weisse Staubwolke schwebt noch ewig lang über dem Weg nach Tannheim.

Die Mutter führt uns ins Haus.
Heute ist es still und erdrückend in dem Haus.
Man bringt den Vater nach Innsbruck, ins Gefängnis.

Es gab eine Busverbindung von Sonthofen nach Reutte.
Über das Joch, die Gacht, über die Brücke, die beim Rückzug der deutschen Truppen, gesprengt wurde.

Man sieht heute noch die Betonsockel. Von Reutte fuhr dann die Eisenbahn über Garmisch, Mittenwald, Hochzirl nach Innsbruck.

Unsere Mutter, die “Frau vom Haus“ lachte nicht mehr.

Einmal wollte sie ihren Mann besuchen. Wegen Widerstand gegen die damalige Politik war er eingesperrt.

Zwei ihrer Buben nahm sie mit. Die beiden „Kleinen“, wie man sie nannte.

Gustl und mich.

Grüne Filzhüte hatte man uns aufgesetzt, mit einem kleinen roten tiroler Adler, als Anstecknadel darauf. Wir waren stolz auf den Adler!

Noch heute ist der rote Adler, etwas besonderes für mich.

Und graue gestrickte Wollkittel hatten wir an, die kratzten am Hals. In Hochzirl sollten wir warten.
Unsere Mutter übergab uns der Obhut einer blonden Frau, die sie kannte.

Die nahm uns mit heim, gab uns einen Kuchen und schickte uns am Nachmittag dann, allein zum Bahnhof.
Kaum waren wir unterwegs, als schon irgendwo ein Zug pfiff und wir, 3 und 5 Jahre alt, der Gustl war ja schon so groß und selbständig, glaubten, das sei der Zug mit dem die Mutter kam.

Der Zug fuhr weg, als wir den Bahnhof erreichten.
Ich glaube nicht, dass ich in meinem Leben noch einmal so fassungslos gewesen bin.

Es war als wäre man ins Leere gelaufen.

Wir hingen am Geländer.

Wir hockten irgendwo auf einer Bank, verweint und erstarrt, wurden von Leuten angesprochen und warteten.

Ich erinnere mich an eine dumpfe, endlose Angst.

Ich blieb halt bei meinem großen Bruder.

Die Dämmerung kam, es wurde dunkel.

Der Schaffner, der uns hin und wieder zugenickt hatte, ging fort.

In unseren Stoff-Lederhosen, sie fühlten sich weich und samtig an, wurde es uns kalt.

Es muss aber Sommer gewesen sein, denn ich erinnere mich, dass im fahlen Schein einer Lampe zwischen den Gleisen Gras wuchs.

Kein Zug, kein Schaffner, keine Mutter.

Dann kam eine runde Bäuerin mit einer Milchbutte vorbei, vielleicht war sie auf dem Weg heim, von der Sennküche.

Sie redete mit dem Gustl und wir gingen mit ihr in ein Haus, wo es nach Geißen roch.
Das muss eine gute Frau gewesen sein. Sie gab uns heiße Milch.

Ich bin dann auf einem Kanapee eingeschlafen. Irgendwann kam unsere Mutter dann doch und weckte uns.

Sie hatte, wie man mir später erzählt hat, den ganzen Tag warten müssen, bis sie mit ihrem Mann sprechen durfte.

In dem Bewusstsein, dass sie ihre zwei kleinen Buben an einem fremden Ort allein gelassen hatte, hatte sie viele Vaterunser gebetet und alle Schutzengel um Beistand für uns gebeten.

Warum wir nicht zu der blonden Frau zurückgegangen waren!

Ich weiß es nicht.

Ich bin nie mehr gern allein auf einem Bahnhof gewesen.

Aber, wenn ich heute noch, eine Bäuerin sehe, weiß ich dass es Schutzengel gibt.

Den Vater haben wir viele Jahre nicht gesehen.

Briefe kamen, Feldpostbriefe, mit einer Hitlermarke drauf.

Wir zogen ins Allgäu.

Als der Krieg aus war, kam er zu uns, blieb ein paar Wochen und ging dann allein nach Norddeutschland.

Die frühere, starke Verbundenheit meiner Eltern hatte den Krieg nicht überstanden, war irgendwo zwischen Gefängnis, Fremde und Front verbrannt.

Baustelle 1968

Ich bin Betriebsmaurer in einer Allgäuer Firma.
Eine Halle ist gebaut worden. Die wird jetzt verputzt.
Einige Wochen haben wir zu tun. Mir hilft ein blonder, geschickter Mann, Schreiner ist er von Beruf.

Als wir einmal Brotzeit machen, erzählt er von seinen Buben. Da ich inzwischen auch Kinder habe, kommt, auch unter Männern manchmal ein Gespräch über die Familien zustande. Mein Kollege erzählt von einem Spiel, das er seinen Kindern beigebracht hat, so dass die ganze Familie, samt Opa und Oma gelacht hat, und dass es schon lange daheim nicht mehr so lustig gewesen ist.

E sagt: „einmal klatschen, linke Hand an rechtes Ohr, rechte Hand an die Nase,… klatschen,—- ich starre ihn an, der Mann fasst an sein Ohr.

„Bist du der Willi ?“

„Freili heiß i Willi ! Des waischt du doch !“

„Wo hoscht du des Spiel her ?“

„Des Spiel, a so, im Untergschwend, bei mir dahuim do war a

„Frau vom Haus“, „

„Willi, sei still, die Frau, des war ming Mueter!“

„Ja wia ?“

„Vor fünfundzwanzig Johr händ mir miteinand gschpielt unter dem Stadel im Luim !“ Vor 25 Johr händ mir deis Spiel gmacht!“

Aber der Willi der kennt mich nicht mehr, aber es war doch der kleine, blonde Kerl……. Es war der Willi, der inzwischen am Oberjoch lebt.

Sonthofen1989

Die Familie ist auseinander gezogen, jeder hat sich seine eigene Existenz aufgebaut, der Vater ist nicht wieder gekommen.

Man hörte, dass er nicht alleine blieb, seine zweite Frau gestorben war, und er danach achtzig jährig, eine dritte, junge Frau geheiratet hat.

Kurz vor Weihnachten starb unsere Mutter, nachdem sie sich noch über ein kleines blaues Stück Himmel gefreut hatte, das sie vom Krankenbett aus sehen konnte.

„Heut geht es mir schon so schön schlecht,“ hatte sie mir gesagt,

“ich hab es bald überstanden.“

Ein mutiges Wort von einer Todkranken.

Ihren Mann hatte sie 40 Jahre nicht mehr gesehen, und keinerlei Kontakt mit ihm gehabt.

Sie starben beide in der selben Nacht, zur selben Stunde, nach 40 Jahren, jeder allein, 1000 km voneinander entfernt, sie im Allgäu, er in Norddeutschland, und doch miteinander. Warum wohl? Zufall?

Sprechen sie jetzt wieder miteinander ?

Ein Allgäuer Gschichtle 1945

Es ist die unruhige Zeit, kurz nach Kriegende.

Ein dreizehnjähriger Bub radelt in Ofterschwang auf seinem, mit viel Mühe aus alten Teilen zusammengebastelten Rad „umeinand“ ohne dass er irgendwo hin will, oder einen besonderen Auftrag hat. Einfach so.

Es ist Thaddäus Müller, der Sohn des Sennen, der die Ofterschwanger Milch seit Jahren zu gutem Emmentaler Käs verarbeitet und bei den Bauern wegen seines gerechten Milchmessens, und weil er gut fabriziert, beliebt und geachtet ist.

Im Gasthof „Engel“, damals noch mit niedriger Stube und altem Hauseingang, wie halt in allgäuer Häusern üblich eingeteilt, sitzen ein paar Bauern und Handwerker, bei dünnem Heuber-Bier, am Stammtisch. Auch „Dorlars Eduard „ ein Zimmermann, der heut zum Feierabend, auf eine Halbe eingekehrt ist, ist dabei.

Zwei junge, amerikanische Soldaten haben sich wohl irgendwie „freigemeldet“ und zechen am Nebentisch, munter drauf los. Die Wirtin hat ihnen einen selbstgebrannten „Enzionar“ hingestellt.

Thade beobachtet, durch den lauten, fröhlichen Diskurs der Amis aufmerksam geworden, wie die zwei Burschen angeduselt aus der Wirtschaft kommen, eines, der vor dem Haus angelehnten Fahrräder nehmen und die Staig hinunter fahren, in Richtung Westerhofen.

Beide zusammen auf einem Rad!

Wenig später kommt „Dorlars Eduard“ aus der Wirtschaft.

Er möchte heim, nach Kierwang, zu seiner Familie, schließlich ist ja Feierabend.

Ratlos schaut er sich um, wo ist sein Fahrzeug geblieben !?

Thade, der den Abgang des Vehikels ja beobachtet hat, kommt herzu und erzählt brühwarm was er gesehen hat.

Er beschließt den beiden Amis nachzuradeln um herauszufinden, wo die zwei hinfahren und wo das Rad, womöglich landet.

Schneid ha er damals bewiesen der Thade, immerhin ein erst dreizehnjähriger Bub, spioniert er der allmächtigen Besatzungsmacht nach. Bald findet er das Fahrrad, ohne Luft in den Reifen, mit verbogenen Felgen, im Straßengraben.

Aber, er gibt nicht auf: Er spürt den beiden GL´s weiter nach und wird fündig.

Die zwei Uniformierten laufen über die „Bietsche Holde“ in Richtung Sonthofen.

Thade fährt zurück und informiert den inzwischen wieder an den Stammtisch zurückgekehrten Eduard über den Verbleib des Fahrrades.

Der Wirt rät, die Militär-Polizei anzurufen, was dann auch geschieht.

Es dauert nicht lange, ein Jeep der MP taucht auf und nach einer Runde durch das Dorf, kommen zwei wuchtige amerikanische Militärpolizisten in die Wirts- Stube vom „Engel“ und fragen nach Zeugen.

Zaghaft erzählt Thade, was er beobachtet hat.

Er wird, obwohl er Schiss hat, in den Jeep genommen und muss dem einen, deutsch-sprechenden Militärpolizisten zeigen, wo die zwei Amis hingelaufen sind.

Als der Jeep aus dem Ofterschwanger Holz heraus und in Richtung Bettenried fährt, sieht man zwei Gestalten auf Sonthofen zu rennen.

Kurz entschlossen fahren die Fahnder mit dem Jeep durch eine Lucke im Hag den Bichel hinunter und stellen die Flüchtigen im freien Feld.

Die merken, dass es Ernst wird und geben auf.

Thade, der das Abenteuer bisher für ganz lustig gefunden hat, hockt jetzt, doch ein wenig verängstigt auf dem Rücksitz des Jeeps.

Die M.P. fährt nach Sonthofen in die Kaserne.

Die beiden G.L.s, ganz sicher harmlose, nette Burschen, die einmal über die Stränge geschlagen haben, werden brutal mit den Stöcken zum Verhör getrieben.

(„Wie a Vieh“!, erinnert sich Thaddäus ).

Er soll aussagen und seinen Namen und seine Adresse angeben.

Der Flur in der Kaserne war sauber geputzt Und gewischt.

Wie halt ein allgäuer Bub erzogen ist, hat er sich nicht mit seinen Holzschuhen in die Räume der Besatzungsmacht getraut.

„I ho halt d` Holtsche, wie `nes sich gheart, vor dr Dier ra dong.“

Bis nach dem Verhör, ist es dunkel Nacht geworden.

Der Bub hockt immer noch in dem Vernehmungsraum.

Er möchte heim, aber, er traut sich „ niéna furt“.

Schließlich bedeutet ihm ein Adjudant:

„You may go home .“

Er zeigt zur Tür.

Nachdem er das englisch –amerikanisch begriffen hat, hatscht Thade „i de Sock“ durch den schlecht beleuchteten Gang aus der Kaserne.

Aber, als er vor der Tür in seine Holzschuhe schlupfen will, sind sie fort.

Er steht in dunkler Nacht in dem zerbombten Sonthofen, in einer „feindlichen“ Kaserne, in Strumpfsocken und möchte gern heim, nach Ofterschwang, zu seinen Eltern, die sich, es ist inzwischen 10 Uhr Nacht, bestimmt schon lange Sorgen machen.

Verzweifelt und ermüdet schleicht Thade um das Gebäude der Kaserne herum und heute erinnert er sich:

„Bigott,i de Sock ischt doch no nie niemed vu Sünthof go Oftrschwang gloffe…abr was hätt i selle düe?

Momentan hon i mir kuin Rot it gwisst!“

Bis er einen Schutt- Kübel erspäht.

„Und, wie s dr Teifl will, lüeg i i die` Tonne ning!“

Es war ein Wunder!, Die Holzschuhe steckten in dem Kübel !

Überglücklich, doch einigermaßen ungeschoren davon gekommen zu sein, legt er sie an und läuft durch Sonthofen in Richtung Sigishofen.

„ Nuiz wie` huim !“

Aber die Aufregung ist an diesem Tag noch nicht zu Ende.

In Sonthofen herrschte strickte Ausgangsperre ab 20 Uhr.

Der Bub war noch nicht lange unterwegs, als ein amerikanischer Jeep neben ihm anhält, zwei Militärpolizisten herausspringen und schreien : STOP!

Dem Thade bleibt das Herz stehen!

Er kriegt es jetzt wirklich mit der Angst, er fürchtet, dass geschossen wird, oder dass er die weissen Schlagstöcke zu spüren kriegt, als ihn

„Gott sei Lob`und Donck !“

der Offizier erkennt!

Es ist derselbe der ihn vernommen hat !

Der grinst versöhnlich, nennt ihn „good boy“ und im Jeep der „Weltmacht Amerika“ wird Thade heimgefahren, nach Ofterschwang.

Seine Eltern haben den ganzen Nachmittag um ihn gebangt. Auch hier fürchtet der Thade zunächst geschimpft zu werden, aber als er seine Geschichte erzählt hat, ist alles gut.

Eduard Rapp hat sein „verrittenes“ Fahrrad irgendwie mehr oder weniger heimgetragen, aber er stellte es nie mehr vor die Tür einer Wirtschaft, nie mehr.

Und der Thade ?

Der radelt heute noch gern durch seine Dörfer, im Oberallgäu, und

„tüet hie und da gschtäht , züe nam Schwätz !“

Allerdings jetzt mit einem hochmodernen 10 Gang Rad.

Eine Tour auf den Hochvogel

Er war als Zehnjähriger schon mit Nachbarn oben gewesen, hatte Tage lang davon erzählt und mit seinem Muskelkater geprahlt.

Das kriegte man nur, wenn man große Touren machte.
Wir, die jüngeren Brüder entdeckten dann, dass wir “ auch“ irgendwo oben gewesen waren und kamen „auch“ mit einem Muskelkater heim.

Die Mutter, war großzügig und behandelte uns alle mit selbst gepflückter, selbst angesetzer Arnika. Sein Leben lang blieb der Hochvogel, der Berg, mit dem Hermann, eine enge, innere Verbindung hatte. Für uns rückte dieser Berg in unerreichbare Höhen, die nur der Hermann, der Älteste, bezwingen konnte. Es kam der Krieg und die großen Veränderungen, die auch unsere Familie ins Trudeln brachte. Wir zogen aus dem sonnigen Untergschwend, bei Tannheim, in das Haus unserer Mutter, nach Ried bei Obermaiselstein. Nach Jahren hieß es immer noch, wenn es recht stark schneite:

„Hermann, stell Dir vor, wie es jetzt in Tannheim doba stuibt !“
Er gab dann stets zur Antwort:
„Und erst recht auf dem Hochvogel!“
Wir kannten und liebten diesen Spruch.

Mit 2593 Metern ist er einer der höchsten Berge im Oberallgäu, und wohl auch einer der schönsten Gipfel! Als Sechzehnjähriger musste Hermann als Flackhelfer einrücken.

Ob er je die Rohre seines Geschützes auf einen feindlichen Flieger gerichtet hat, glaube ich nicht, ich weiß nur, dass der brave, unverdorbene Bub mit den Kameraden Probleme hatte, die in der gemeinsamen Dusche, mit rauhen Scherzen an ihn herankamen.

Während die Familie im Allgäu blieb, suchte Hermann sein Glück zunächst in einer Musikschule, später als Krankenpfleger, lernte dann den Beruf des Gärtners, schaffte in unendlichen Abendschulen das Abitur und brachte es fertig, durch enormen Fleiß, das Volksschul-Lehrer-Examen zu bestehen und nebenbei auf einer alten Barockorgel, als Organist, den Gottesdienst zu begleiten.

Schon als Kind hatte er sich für Pfeifen und Register interessiert.
Bei jedem Urlaub im Allgäu, plante er, seine Jugendtour wieder einmal zu machen, aber irgendwie schaffte er es nicht.Trotzdem blieb der Hochvogel sein Lieblingsberg.

Auch eine nette Frau hatte er gefunden, die mütterlich und tatkräftig, dafür sorgte, dass seine Hemden gebügelt wurden, es kamen Kinder und ein vernünftiger Haushalt entstand.

Ein Reihenhaus im Grünen, rundete die Idylle des Nachkriegslebens ab. Hermann hatte aus eigener Kraft geschafft, was viele sich ihr Leben lang wünschen. Dann aber kam, der gemeinste und heimtückischste Feind des Menschen, der Krebs.

Er fiel ihn an, stieg in seine Blutkörperchen und nannte sich Anemie. Seine stille, zähe Ausdauer zeichnete Hermann wieder einmal aus.

„In mir ist für beide Platz, für mich und für den Krebs, ich muss damit leben, ich muss und kann mit der Krankheit leben!“ So hatte er mir geschrieben.

Ein starkes Wort.

Er nahm die Herausforderung an.Seine Ernährung stellte er völlig um, auf Körner und Pflanzen, er magerte ab, er wurde bestrahlt. Er biss auf die Zähne.

Er wies den grausamen Feind in die Schranken, zum Erstaunen der Ärzte, die seine Genesung als Phänomen betrachteten, ja, von einem Wunder sprachen!

Aber es blieben Folgen.

Was der Krebs nicht geschafft hatte, schafften die Gegenmittel, die Chemie und die Bestrahlungen.

Seine Stimme verkümmerte zu einem Krächzen, seine Halsmuskulatur, der Sitz der Lympfknoten, verkümmerte, seine Schultern, seine Arme hingen, kaum noch brauchbare Reste, einer früher stabilen Gesundheit, an seinem Rumpf.

Fast ein Skelett nur noch, durch Sehnen und Willen zusammengehalten,

…kam er eines Tages zu mir.:

„Tedor“, krächzte er,“ gehen wir auf meinen Berg, den Hochvogel?“

Ich wusste, was der Hochvogel ihm bedeutete.

„Ja, Hermann, der Hochvogel ist immer Dein Berg gewesen und wir gehen hinauf!“

„O mei „ dachte ich, „wie mach Ich das eigentlich“ ?

„ Klar,“ sagte ich,“ den packen wir!“

Ich versuchte einen Scherz zu machen und auch er zog die wächsernen Lippen zu einem Lächeln.

Irgendwo hatten wir beide einen dunklen Punkt gesehen… ein Problem ?..

Ich bin viel in den Bergen, ich habe auch schon Verletzte und Tote geborgen, heruntergebracht, aber hinauf?

Einen kranken Mann, abgemagert, ausgelaugt, von jahrelangen Schmerzen? Aber sehnige Beine hatte er sich, durch eisernes Training erhalten!

Und den Willen ! Den hatte er ganz sicher !

Also mit dem Auto zum Vilsalpsee, die Route, die er als Zehnjähriger gegangen war.
Sicherheitshalber , nahm ich einen Schlafsack in den Rucksack und eine lange Reepschnur.
„Hermann, ich möchte Dich anbinden, Du könntest ausrutschen, ich möchte Dich fangen können!“
„Nimm das Seil halt wie ein Lasso, wenn ich abstürze, kannst du mir ja eine Schlinge nachwerfen, wie ein Cowboy…….“

Der Humor klang hohl .
Ein Stock , oder zwei Stöcke , a la` Messmer hätten ihm helfen können.

Er konnte einen Stock nur schlecht halten.
„Die Finger können noch Akkorde auf der Orgel greifen, mehr ist nicht mehr……. langsame Lieder …„ Seine Stimme erstarb,

„ bind mich an Tedor.“

Ganz kleine Schritte.
Millimeterweise versank das Tannheimer Tal hinter uns.
Hermann legte seine Scheu ab.

Ich war jetzt nicht mehr der kleine Bruder, ich war der Bergkamerad.
Er ließ sich ziehen, halten, er vertraute mir.

Vertraute mir, dem Kleinen, dem er früher die Tränen abgewischt hatte, dem er den Nachttopf geleert hatte, den er gegen grössere Buben in Schutz genommen hatte.

Das Vertrauen gab mir Auftrieb, jetzt glaubte ich, dass wir es schaffen würden.
An der Vilsalp vorbei, unter dem Rauhhorn durch, zum Schrecksee.

Am Glasfelderkopf vorbei.
Wir beschlossen, nachdem wir immerhin, mit Pausen 9 Stunden gelaufen waren, im Luitpoldhaus zu übernachten.

Wir lagen in den kratzigen Decken nebeneinander, wie wir vor vierzig Jahren, unter alten Decken, in der Stube in Untergschwend bei Tannheim beieinander, in der Streue gelegen waren.

Hermanns Glieder waren überanstrengt, ebenso seine Gedanken überdreht, es war halt doch nicht irgend eine Tour, sondern der Hochvogel !

Eine Idee, eine Vorstellung, ein Berg, kann zum Sog werden, zum Muss, an das man sich klammert, kann zum Zielpunkt werden und wenn Du dann dieses Ziel nicht schaffst, das geht Dir dann echt an`s Mark!

Ein Rotweintrinker über uns, schnarchte gottserbärmlich.
Einmal tastete eine Hand nach mir,“ Bischt noch da Totz ?“
flüsterte es heiser.

„Totz“, hatte er mich manchmal genannt, er war immerhin 7 Jahre älter als ich.

Es freute mich, es war wie früher. Mit den ersten Sonnenstrahlen stiegen wir in einer Art Traumwandlerschritt aus der Hütte.

Andere strebten an uns vorbei, versuchten über unser Tempo zu scherzen, verstummten aber, wenn sie unter dem großen grauen Hut, das bleiche Gesicht wahrnahmen.

Der „kalte Winkel“ war wie ein Eiskessel , ein Begehen undenkbar ohne Steigeisen und ohne brauchbare Arme.

Also über die Kreuzspitze.

Wir machten eine Probe. Ich voraus. Seil über die Schulter, einholen, „Hermann, ganz kleine Tritte“ , ausruhen mit der Schulter anlehnen, wenn`s nicht anders geht, auch einmal auf den Knien.

„Keine Angst, I heb Di“!

Aber dann ist er mir doch abgerutscht, ein Tritt löste sich, er fiel gegen die Wand und schlitterte auf der linken Gesichtshälfte am Felsen entlang, rollte seitwärts im Seil hängend und stieß mit der wehrlosen Schulter auf……

Ich hielt fest, bis er sich beruhigt hatte, legte die Reepschnur über einen Felskopf und ging zu ihm. Ein schlimmer Moment für ihn. Er hatte seine ganze Hilflosigkeit zeigen müssen.

Eine Schürfwunde sah schlimmer aus, als sie war.

Ein Taschentuch und bischen Sprühpflaster erledigte das.

„ Kannst Du noch? Willscht Du noch ?“

Hermann sagte nichts, zuerst vermied er meinen Blick, dann blickte er nach oben, wo der Gipfel des Hochvogels wuchtig und stark am Himmel streifte.

Ich hatte Angst, ich hatte Schiss, er schafft es nicht.

Und ich war verantwortlich, für diesen Irrsinn, einen geschwächten,

kranken Mann, auf diese Höhe mit genommen zu haben.

Ich sah, dass er unsäglich litt, dass er jeden Moment aufgeben wollte.

„Weischt was, Hermann, wir sind schon so weit gekommen, weiter als Du geglaubt hast, wir machen eine Pause! „

Also Brotzeit.

Der Atem ging flach, mir war es nicht recht wohl, wenn ich ihn anschaute.

Der Rundblick hinüber zum Glasfelder Kopf, hinunter zum Giebelhaus, der steile Grat des Himmelhornes, der Schneck war einfach herrlich !

Es war ein traumhafter Herbsttag.

„Wolln` wir es nicht gut sein lassen?“

Sein starres Gesicht verzog sich, mit den Augen, mit den Kopf, deutete er zum Gipfel. Er schüttelte langsam den Kopf.

Ich glaubte ihm.

Er wollte den Traum, der ihm vielleicht über manche Unebenheiten in langen Jahren hinweggeholfen hatte, nicht preisgeben.

Er würde durchhalten.

Es gab noch viele Pausen.

Schokolade, Wasser, Traubenzucker, Schwarzbrot, ganz kleine Brocken.

Das Schlucken fiel ihm schwer, auch der Schlund war verbrannt und vernarbt..

Vorausgehen, Stand halten, Reepschnur ganz langsam einholen.

Immer wieder, langsam.

Am Nachmittag, als die Sonne im Westen dem Säntis nahe kam, waren wir auf dem Gipfel. Am Kreuz.

Der leidende Christus störte mich heut. Lieber hätte ich einen Sieger gesehen !

Ausgelaugt, ausgepumpt, aber oben !

Oben! Auf dem Hochvogel !

Hermann hatte gewonnen !

Er sackte in sich zusammen und schloss die Augen.

„Hoffentlich stirbt er mir jetzt nicht“ ging es mir durch den Kopf .

Obwohl:

Hätte man sich einen schöneren Tod vorstellen können ?

Auf einem Gipfel einschlafen ? Auf seinem Gipfel ?

Ich lehnte mich gegen seinen Rücken, versuchte ihm Halt zu geben, versuchte meine Reserven an ihn überzuleiten.. fasste ihn am Arm..

„Da nimm von mir…..“

Ich glaube an solche Sachen……..

Hermann kauerte lange , wie im Schlaf.

Dann öffnete er seine hellblauen Augen.

Ein Lächeln zog über sein Gesicht.

Ein wunderbares Lächeln , von innen heraus.

Er blickte rings um sich, er zog den ganzen Erdkreis in sich hinein, die sinkende Sonne, die Berge, die dämmerigen Täler, die violetten Schatten und dann traf sein Blick auf mich.

Dieser Blick aus den Augen meines Bruders, war Lohn für Jahre, war Lohn für ein Leben, für eine Tour,

Dank, Dank, Dank ! Sagte der Blick.

Noch heute steigt mir ein Klotz in den Hals, wenn ich an diesen Augenblick denke!

Er sagte nichts.

Wozu auch !?

Wir biwakierten. Hermann im Schlafsack, ich unter einem Anorak.

Felsen sind nachts immer doppelt so hart und kalt , wie am Tag.

Die Stunden sind endlos.

Kaum stieg das Morgengrauen aus dem Himmel, brachen wir auf.

Im Luitpoldhaus gab es eine ausgiebige Rast.

Heißen Tee, Kaffee.

Der Bene, bekannt aus meiner Bergwachtszeit, schaute mich und meinen Begleiter an:

„I blieb in der Nähe, wenn Dir abstieget.“

Und er nahm sich Zeit, der Bene, mit noch zwei Bergkameraden war er immer so 100 m hinter uns, und interessierte sich für Blumen und Kräuter.

Hermann tastete sich, wieder an der Schnur, vorsichtig zu Tal und endlich erreichten wir den Bus am Giebelhaus.

Ich glaube, er hat in diesen drei Tagen so viel geleistet, wie ein Extremkletterer im Himalaja .

Zwei Tage blieb er bei mir daheim, im Bett.

Wir gaben ihm Fleischbrühe und Haferflocken.

Er hatte den Hochvogel, seinen Hochvogel bezwungen und ….. er hatte den Krebstod besiegt !

Bei einer Routineuntersuchung erstickte er später im Krankenhaus, an Erbrochenem.

Die Nachtschwester hatte kurz vorher noch zu ihm geschaut.

Sein Körper dient, seinem Wunsch entsprechend, der Krebsforschung.

Aber seine Seele ist ganz sicher, oft oben am Hochvogel.